Jerusalem aus einem anderen Blickwinkel
Jerusalem. Die heilige Stadt. Dieser Ort ist weit mehr als die kolossalen Gebäude, die wir vor allem aus Geschichtsbüchern und den Nachrichten kennen. Es ist mehr als das christliche, muslimische, armenische oder jüdische Viertel. Es ist nicht nur die Grabeskirche, die Klagemauer oder der Tempelberg. Was Jerusalem einzigartig macht, sind die Menschen, die hier leben. Es sind ihre Geschichten, die mich auf meiner letzten Reise berührt haben.
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Auf meiner letzten Reise nach Israel hatte ich das unglaubliche Vergnügen, einen wahren Geschichtenerzähler und Jerusalem-Kenner zu treffen. Eitan Simanor ist Reiseleiter – und seine eigene Geschichte könnte Bücher füllen. Seine Spezialität und Lieblingsbeschäftigung ist es, neugierigen Besuchern einen anderen Teil seiner Wahlheimat Jerusalem zu zeigen. Und das tut er, indem er Menschen begegnet, die hier leben und die hier etwas für sich geschaffen haben. Davon hat er mir an einem halben Tag nur einen Bruchteil gezeigt – ich verarbeite die Begegnungen immer noch und bin dankbar, ihn getroffen zu haben.
Eine etwas andere Stadtrundfahrt durch Jerusalem
Eitan ist ein angenehmer, nachdenklicher Mensch, der Wissen aufsaugt wie ein Schwamm und in der Lage ist, Geschichte und Geschichten auf ganz besondere Weise authentisch zu teilen. Viele Jahre war er Fotograf für NGOs an abgelegenen Orten und diese Leidenschaft, Momente mit seiner Kamera festzuhalten, begleitet ihn noch heute. Er kennt ganz besondere Orte, die auch Fotografenherzen höher schlagen lassen.
Außerdem ist er immer auf der Suche nach Begegnungen im Alltag. Er kennt viele Menschen, die Jerusalem zu dem gemacht haben, was es heute ist. Jeder von ihnen auf seine einzigartige Art und Weise.
Die Kunst der Fliesen: Familie Karakashian
In einem unscheinbaren kleinen Laden in der Nähe des Jaffator wird seit über hundert Jahren Geschichte geschrieben. Die Familie Karakashian hat sich der Keramik verschrieben, die sie selbst von Hand bemalt. 1919 wurde die armenische Familie zusammen mit zwei anderen von den Briten beauftragt, die bunten Kacheln des Felsendoms zu restaurieren.
Später, als die Jordanier über Jerusalem herrschten, wurden Straßenschilder in der Stadt eingeführt. Auch mit dieser Aufgabe wurde 1965 wieder die Familie Karakashian betraut. Sie fertigte Straßenschilder auf Fliesen in Arabisch und Englisch an. Erst nach dem Sechstagekrieg 1967 wurden die Schilder geändert, um die hebräischen Straßennamen aufzunehmen. Einige der Zeichen wurden komplett ersetzt, andere einfach mit Hebräisch ergänzt. Auf vielen Fliesen sieht man den Unterschied noch heute.
Information
Jerusalemer Keramik
Straße des griechisch-orthodoxen Patriarchats 3
Altstadt von Jerusalem
Gabriel, der Ikonenkünstler der Orthodoxen
Wenn man durch die Gassen Jerusalems schlendert, ist man einfach überwältigt von all den Eindrücken. So banale Dinge wie Hofeingänge nimmt man oft nicht wahr und geht daran vorbei. Eitan lässt sich davon aber nicht (mehr) ablenken und weiß genau, wo sich die besonderen Ecken verstecken.
Also führte er mich in einen dieser angeblich versteckten Höfe, vorbei an einer kleinen Kirche. Dann klopfte er an eine einfache Holztür und wartete. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass er hier jemanden kennt, hätte ich gedacht, er fragt nach dem Weg. Er war nicht überrascht, als niemand antwortete – schließlich waren wir an einem Sonntag dort. Doch als sich die Tür öffnete und ein älterer Mann mit Farbflecken an den Händen heraustrat, wirkte Eitan sichtlich erleichtert.
„Hier arbeitet Gabriel. Das ist sein kleines Atelier, in dem er Ikonen und andere Bilder restauriert und auch selbst malt. Er ist auch selbst Armenier und auf der Gehaltsliste des griechisch-orthodoxen Patriarchats“, erklärte er mir. Bilderrahmen, kleine und große Farbtöpfe und Leinwände stapeln sich in dieser kleinen Arbeitshöhle. Überall glänzt das besondere Gold, das wir aus Kirchen kennen.
Ein Arbeitsplatz mit Sinn: Arab Blind Association
1932, als das britische Mandat über Palästina und damit Jerusalem noch in Kraft war, wurde die Arab Blind Association mit Sitz in der Altstadt gegründet. Durch verschiedene Projekte wird blinden Palästinensern die Möglichkeit gegeben, bis heute zu arbeiten.
In einem kleinen, wiederum unscheinbaren Lädchen in einer der verwinkelten Gassen Jerusalems werden die Produkte einer solchen Werkstatt verkauft: Bürsten und Besen in unterschiedlichen Größen und für unterschiedliche Einsatzzwecke. Interessierte bekommen auch einen Einblick in die Werkstätten, in denen fleißig gearbeitet wird. Fast wie in Trance werden die einzelnen Arbeitsschritte nacheinander ausgeführt.
Die Info
Arabischer Blindenverband
Die Tätowierungen der Familie Razzouk
Die Familie Razzouk beschäftigt sich seit 1300 mit der Kunst des Tätowierens. Zunächst unternahmen sie eine Pilgerreise von Ägypten ins Heilige Land – und hielten sich dann ab dem 15. Jahrhundert in Jerusalem auf. Hier richteten sie ein kleines Tattoo-Studio ein, das bis heute besteht. Besonders bei Pilgern sind die kleinen bleibenden Kunstwerke unter der Haut sehr beliebt, die eine gelungene Pilgerreise darstellen.
Die Vorfahren von Wassim Razzouk, der bereits die 27. Generation dieser Familientradition ist, tätowierten Kopten in Ägypten. Kleine Kreuze wurden auf die Innenseite des Handgelenks tätowiert, um Zugang zu ihren Kirchen zu erhalten. Dies geschah oft in jungen Jahren, manchmal erst im Alter von wenigen Monaten.
Traditionell wird heute das Jerusalemkreuz oder Pilgerkreuz tätowiert. In einem dicken Katalog im Tattoo-Shop findest du weitere unzählige Variationen – da ist garantiert für jeden etwas dabei.
Die Info
Razzouk-Tattoos
Shvil Saint George 31 (in der Nähe des Jaffator)
Altstadt von Jerusalem
Wenn Sie also diese oft missverstandene Stadt ein wenig besser verstehen möchten, ermutige ich Sie, Jerusalem mit zu erkunden Eitan und erhalten Sie eine einzigartige Perspektive. Er läuft auch Fotografie-Workshops in der Altstadt – er kennt die besten Winkel und Aussichtspunkte in Jerusalem!
Dieser Artikel wurde im Auftrag des israelischen Tourismusministeriums im Rahmen eines Forschungsaufenthalts verfasst.